Neue geostrategische Realität holt die USA ein

18.10.2018

Vor einigen Tagen berichteten russische Medien, dass große Städte auf dem Territorium des Landes sowie wichtige industrielle und soziale Objekte mit einem mobilen Raketenschutzschild geschützt werden sollen. Laut Quellen im russischen Verteidigungsministerium geht es um die Entwicklung eines vollwertigen nichtstrategischen Luftabwehrsystems.

Globaler Trend

Für den Anfang muss man sagen, dass es bei der Raketenabwehr um alle möglichen Arten von Schutzmitteln vor gegnerischen Raketenwaffen geht.
Sie beinhaltet beispielsweise auch den aktiven Schutz der Panzertechnik vor ferngesteuerte Anti-Panzer-Raketen. Und in diesem Fall auch vor taktischen ballistischen Raketen und Marschflugkörpern. Höchstwahrscheinlich vor allem vor amerikanischen operativ-taktischen Raketenkomplexen ATACMS. Nach einigen Parametern sind sie mit den russischen Komplexen „Iskander“. Experten zufolge sind sie aber schlechter als die „Russen“. Russland verfügt bereits über Raketen „Tor-M2“, „Buk-M2“ und „Buk-M3“, S-300V4, S-300PMU2 und S-400, die die meisten Aufgaben im Rahmen der nichtstrategischen Luftabwehr lösen. Der Chefredakteur des Fachmagazins „Arsenal Otetschestwa“ („Arsenal des Vaterlandes“), Viktor Murachowski, vermutete zudem, dass es auch um die Entwicklung eines neuen Systems gehen könnte, dessen Möglichkeiten mit denen der Raketen S-350 „Witjas“ vergleichbar wären.

Das S-350-System wurde zum ersten Mal bei der Luft- und Raumfahrtmesse MAKS-2013 dem Publikum gezeigt. Das ist eine selbstfahrende Startanlage mit einem hochmodernen Elektroscanning-Radar. Es ist für Kurz- und Mittelstreckenraketen geeignet.

Dabei handelt Russland in Übereinstimmung mit dem globalen Trend: In der ganzen Welt werden mehrere nichtstrategische Raketenabwehrsysteme entfaltet (Israel, Indien, Japan, EU). Das bekannteste ist die so genannte „Eiserne Kuppel“, die israelische Städte vor nichtgesteuerten Raketen zuverlässig schützt, deren Reichweite zwischen vier und 70 Kilometern liegt. Künftig will Israel die „Eiserne Kuppel“ modernisieren, so dass dieses System auch gegen ballistische Raketen passt und eine Reichweite 250 Kilometer erreicht.
Und über strategische Raketenabwehrsysteme verfügen nur zwei Länder – die USA und Russland.

Letzte Stufe der strategischen Raketenabwehr

Interkontinentale ballistische Raketen können bekanntlich auf verschiedenen Flugbahnabschnitten abgeschossen werden: in der Anfangs-, Mittel- oder Abschlussphase des Flugs.

Gleich nach dem Start ist die Rakete ziemlich anfällig – sie lässt sich leicht orten, hat eine geringe Geschwindigkeit usw. Andererseits sind strategische Raketen tief im Hinterland des potenziellen Gegners stationiert und sind durch Luft- und Raketenabwehrsysteme zuversichtlich gedeckt. Außerdem dauert die Anfangsphase des Flugs nur ein paar Minuten, und diese Zeit reicht nicht, um die Rakete zu orten und eine Abfangrakete zu starten. Experten vermuten, dass die USA gerade deshalb ihre Anti-Raketen-Raketen in Osteuropa aufstellen, um diesen Mangel auszugleichen. Denn noch näher zu den russischen Raketenstartanlagen können sie nicht mehr stationiert werden.

Raketen können auch in der aktiven Flugphase abgefangen werden, wenn die Gefechtsblöcke sich schon von der ballistischen Rakete abgespalten haben und im Weltraum nach dem Trägheitsgesetz fliegen. Der Vorteil dabei besteht darin, dass für ihre Ortung und Vernichtung ziemlich viel Zeit bleibt (nach einigen Angaben bis zu einer halben Stunde). Der Nachteil ist, dass die Gefechtsblöcke relativ klein sind und eine Anti-Radar-Beschichtung haben – und nichts ausstrahlen. Deshalb sind sie nur schwer zu orten. Zudem tragen moderne ballistische Raketen viele „Täuschkörper“ (simulieren Scheinziele), die sich auf einem Radarbildschirm von echten Zielen kaum unterscheiden.

Sprengköpfe können auch in der Schlussphase des Flugs abgefangen werden. Das ist relativ einfach, weil leichtere „falsche Ziele“ nach der Rückkehr in die irdische Atmosphäre sich leicht erkennen lassen.

Es gibt aber auch Nachteile: Der größte besteht darin, dass die Raketenabwehr eine sehr geringe (manchmal weniger als eine Minute) Zeit haben. Die Vernichtung der Sprengköpfe in der letzten Flugphase ist im Grunde eben die letzte Stufe der strategischen Raketenabwehr. Gerade so ist die Luftverteidigung Moskaus organisiert.

Das System A-135 kann gleichzeitig bis zu 100 Ziele aus einer Entfernung von bis zu 2000 Kilometern verfolgen.
Die Raketen 53T6 Gazelle haben faszinierende Geschwindigkeitseigenschaften: Sie können innerhalb von nur drei oder vier Sekunden die Höchstgeschwindigkeit (bis zu 5500 Kilometer pro Sekunde) erreichen. 2016 verfügte Russland über 68 solche Abfangraketen mit nuklearen Sprengköpfen von je zehn Kilotonnen.
In der Abschlussphase befindet sich auch die Entwicklung eines erneuerten Raketenabwehrsystems für Moskau – A-235, das das veraltete A-135-System ablösen soll. Natürlich sind seine meisten Charakteristiken streng vertraulich. Bekannt ist lediglich, dass die neuesten Raketen ein noch präziseres Zielortungssystem haben werden.

Amerikaner setzen auf kinetisches Abfangen

Die USA verfügen ihrerseits überwiegend Raketenabwehrsysteme, die nach dem kinetischen Abfangprinzip funktionieren: Sprengköpfe werden im Grunde dank der maximal präziser Treffsicherheit abgeschossen, wobei Abfangraketen sehr leicht sind, aber enorm schnell fliegen.

Es geht nämlich um Abfangraketen EKV (Exoatmospheric Kill Vehicle), die mit speziellen dreistufigen Trägerraketen GBI (Ground Based Interceptor) gestartet werden.
Laut einigen Angaben wiegt eine EKV-Rakete nur 70 Kilogramm und verfügt über infrarotes Zielortungssystem – sie fliegt zu einem aufgeheizten Sprengkopf. Bei der Kollision des Sprengkopfes mit der EKV-Abfangrakete beträgt ihre gesamte Geschwindigkeit etwa 15 Kilometer pro Sekunde. Die Energie, die dabei ausgestoßen wird, ist ausreichend für die Vernichtung des Sprengkopfes. Die Frage ist nur, wie dieser getroffen werden könnte. Bei Tests treffen EKV-Raketen in mehr als 50 Prozent der Fälle die Ziele.

Die Fähigkeit der Rakete, den Sprengkopf garantiert zu treffen, steht jedoch infrage. Und das ist ein sehr wichtiger Moment, denn eine Atomexplosion – selbst sehr weit weg vom geplanten Ziel – wäre unzulässig.

Darüber hinaus zweifeln Experten auch an der Fähigkeit dieses Systems, Sprengköpfe zu treffen, die unmittelbar im Flug manövrieren können.

Andererseits wenn für das Abfangen von Hunderten gegnerischen Sprengköpfen ein massiver Einsatz von Anti-Raketen-Raketen nötig ist, wird nur eine kleine nukleare Explosion auf dem Weg der Gefechtsblöcke einen enorm starken Impuls auslösen, und dass Raketenabwehr-Radare garantiert verblendet werden.

Auf das kinetische Abfangprinzip stützt sich auch die seegestützte Raketenabwehr Aegis der Amerikaner, die über Abfangraketen SM-3 verfügt. (Gerade ihre bodengestützte Modifikationen werden in der Nähe der russischen Grenzen aufgestellt.) Im Allgemeinen ist das Aegis-System sehr effizient.

Aber selbst seine neuesten Modifikationen sind nicht in der Lage, die neusten manövrierfähigen Schlagblöcke russischer ballistischer Raketen abzufangen – wegen des Brennstofflimits. Aber einen üblichen Sprengkopf abzufangen, wäre für Aegis kein Problem.

Eindämmungsfaktor

Die US-amerikanische Konzeption der globalen Raketenabwehr, die die Aufstellung ihrer Elemente außerhalb des amerikanischen Territoriums vorsieht, erhöht die Chancen auf die Abwehr eines beschränkten Schlags von ballistischen Raketen. „Beschränkt“ ist dabei das Schlüsselwort: Damit ist der gleichzeitige Schlag mit höchstens 20 Raketen gemeint.

Aber wenn man Russlands modernste Technologien bedenkt, könnte ein solcher Schlag nicht einmal nötig sein. Im Frühjahr hatte der russische Präsident in seiner Ansprache an das Parlament die neuesten russischen Waffen präsentiert, die wirklich einmalig sind. Unter anderem den Flugkomplex „Kinschal“, den Raketenkomplex „Sarmat“, den Marschflugkörper „Burewestnik“ sowie Laserwaffen.

Was wäre, wenn die USA wirklich russische Raketen attackieren?

Der Marschflugkörper „Sarmat“ kann bis zu zehn Gefechtsblöcke und viele „Täuschkörper“ tragen.
Er wird zudem mit manövrierfähigen Sprengköpfen ausgerüstet. Möglicherweise geht es um die Entwicklung von gleitenden Hyperschallsprengköpfen mit suborbitaler Flugbahn.

Darüber hinaus informierte der Kreml-Chef über die Entwicklung des Hyperschall-Systems „Avantgarde“, dessen Raketen in der dichten Atmosphäre fliegen könnten, wobei ihre Geschwindigkeit die Schallgeschwindigkeit um das 20-fache übertreffen würde.

Mit anderen Worten, ist für die USA eine neue geostrategische Realität eingetreten. Innerhalb einer kurzen Zeit könnten auf Amerika mehrere Hunderte oder sogar Tausende solche Raketen (ohne Atomsprengköpfe) abgefeuert werden. Für so etwas ist die amerikanische Raketenabwehr gar nicht geeignet.

Die Fakten sprechen für sich selbst: Sollte theoretisch ein Krieg beginnen, könnten die Vereinigten Staaten die Sicherheit ihres Territoriums nicht garantieren. Und das ist möglicherweise der wichtigste Eindämmungsfaktor für die hegemonistischen Ansprüche Washingtons
https://de.sputniknews.com/zeitungen/20181018322678706-raketenschutzschild-angriff-waffe-entwicklung/
Russlands atomare Truppe: Diese Waffen bekommen die Friedenswächter bald
27.07.2018
Nikolai Protopopow

Russlands nukleare Streitmacht setzt auf drei Waffengattungen: U-Boote, Flugzeuge, Raketen.
Bis 2027 will die russische Führung diese sog. Atom-Triade komplett auf gänzlich neue oder intensiv modernisierte Waffentypen umrüsten.

Selbst in den schlimmsten Krisen, die Russland durchmachte, gab die Führung des Landes der strategischen Raketentruppe bei der Finanzierung den Vorrang. Weil russische Interkontinentalraketen Friedensgaranten sind.

„Avangard“ geht in Serie

Als Reaktion auf den Aufbau eines Raketenschilds in den Nato-Ländern hat Russland die ballistische Rakete RS-24 „Jars“ in Dienst gestellt.

Mehrere Einheiten sind bereits mit der mobilen Version dieses Flugkörpers ausgestattet worden, zwei weitere warten auf den Neuzugang.
Die Raketen werden auf mobilen Startrampen in Stellung gebracht – eine Einheit in Zentralrussland bekommt die silogestützte Variante der „Jars“.

Die ballistischen „Jars“-Raketen mit Feststoffantrieb sind zusammen mit den „Topol“-Raketen die Pfeiler der strategischen Raketentruppe.

Die RS-24 hat einen Mehrfachgefechtsblock und trägt je nach Modifikation drei bis sechs nukleare Sprengköpfe mit je 300 Kilotonnen Sprengkraft. Die Reichweite: interkontinental, 12.000 Kilometer.

Nicht zu vernachlässigen ist der Begleitschutz der mobilen Raketensysteme, während sie über Land patrouillieren. Dazu setzen die russischen Soldaten den Späh- und Schutzpanzer „Taifun-M“ ein. Aufgebaut ist das moderne Fahrzeug auf der Basis eines BTR-82. Einen Menschen entdeckt die allwettertaugliche Optronik des „Taifuns“ aus drei Kilometern, ein Fahrzeug aus sechs Kilometern Entfernung.

Auch Roboter stehen den Soldaten für den Begleitschutz zur Verfügung. „Nerechta“ ist so ein System: ein kompaktes ferngesteuertes Kettenfahrzeug, das bereits mehrmals bei Anti-Terror-Übungen erprobt wurde. Seine 12,7-mm-Maschinenkanone setzt Salven von 600 bis 750 Schuss pro Minute ab.

Als eine Weiterentwicklung der „Jars“ kann das neueste Raketensystem „Awangard“ betrachtet werden.
Statt der üblichen nuklearen Sprengköpfe führt dieser Flugkörper Hyperschallgleiter an Bord mit. Das sind Gefechtsköpfe, die mit der 20-fachen Schallgeschwindigkeit ins Ziel gleiten.

Weil deren Flugbahn unterhalb der Mindesthöhe verläuft, die eine Abfangrakete erreichen muss, um einen Flugkörper abwehren zu können, kommt die „Awangard“ faktisch an jedem Raketenschild vorbei.
Die Serienfertigung ist bereits aufgenommen, eine Einheit in der Oblast Orenburg baut gegenwärtig die Infrastruktur auf, um die Rakete in Dienst zu nehmen.

Avangard-Hyperschallrakete
Pentagon besorgt über neuartige russische Superraketen – Medien
Auch Interkontinentalraketen mit Flüssigkeitsantrieb setzen russische Streitkräfte ein. Die silogestützten „Wojewoda“- und „Stilet“-Raketen sollen bald durch einen Flugkörper ersetzt werden, der für die Raketenabwehr noch schwerer zu kriegen ist: die RS-28 „Sarmat“.

Das russische Verteidigungsministerium hat kürzlich mitgeteilt, die Starttests der 200-Tonnen-Rakete seien erfolgreich abgeschlossen. Nun stünden die Flugtests an. Zehn bis fünfzehn Sprengköpfe mit je 750 Kilotonnen Sprengkraft kann dieser Gigant ins gegnerische Gebiet bringen. Die Reichweite der „Sarmat“ liegt bei über 11.000 Kilometern. Die Atombombe, die von den Vereinigten Staaten 1945 über Hiroshima abgeworfen wurde, hatte eine Sprengkraft von etwa 13 Kilotonnen TNT. Die den Hauptteil des taktischen nuklearen Arsenals der USA nach dem Kalten Krieg ausmachenden Sprengköpfe (B61, W76, W88) erreichen je nach Modell und Einstellung ein TNT-Äquivalent von unter 20 bis zu über 300 Kilotonnen. Strategische Gefechtsköpfe für Interkontinentalraketen und Bomber im weiterhin aktiven US-Arsenal verfügen über ein TNT-Äquivalent von mehreren hundert Kilotonnen bis 1,2 Megatonnen

2020 soll die Serienfertigung starten, sodass das erste Regiment mit dieser Interkontinentalrakete den Dienst 2021 antreten kann. Einen vergleichbaren Flugkörper gibt es in der Welt nicht, die „Sarmat“ ist schon die nächste Stufe der nuklearen Abschreckung.

Schrecken der Meere

Die zweite Komponente der russischen Atom-Triade sind die strategischen U-Boote, die in den Tiefen der Weltmeere patrouillieren. In den kommenden Jahrzehnten werden sie mit der „Bulawa“-Rakete an Bord den Gegner im Zaum halten.

Ende der 1990er-Jahre wurde mit der Entwicklung dieser ballistischen Rakete begonnen, 2013 hat die russische Marine sie bekommen, zeitgleich mit dem ersten strategischen U-Boot der „Borej“-Klasse.
Sacharows „Tsunami-Torpedo“: Greift Russland die Idee wieder auf?
Bei einem Einsatzgewicht von rund 37 Tonnen fliegt die „Bulawa“ circa 8.000 Kilometer weit – das heißt: Die Rakete erreicht ihr Ziel fast von jeder beliebigen Stelle im Ozean aus. Gestartet wird sie je nach Bedarf unter oder über Wasser.

Im Zielgebiet setzt sie sechs bis zehn Sprengköpfe frei, die unabhängig voneinander mit Hyperschallgeschwindigkeit die Ziele ansteuern. Im Zielanflug ändern sie permanent die Flughöhe und den Kurs.

Bis 2020 soll die russische Marine acht U-Boote der „Borej“-Klasse erhalten, jedes hat dann 16 „Bulawa“-Raketen an Bord. Auf 30 bis 40 Jahre ist die Dienstzeit des neuen Flugkörpers angesetzt.

Herren des Himmels
Die dritte Komponente der Triade – die strategische Bomberflotte – wird auch nicht vernachlässigt. Deren Rückgrat sind heute der Langstreckenbomber Tu-95 und der Hyperschallbomber Tu-160. Pro Jahr werden diese Maschinen tiefgreifend modernisiert.

Tu-160 vs. B-1B: Russischer und US-Langstreckenbomber im Vergleich
Mehrere modernisierte Versionen setzen die russischen Luft- und Weltraumstreitkräfte bereits ein. Bewaffnet werden sie unter anderem mit dem neuen Marschflugkörper Ch-101/102. Die Raketen können mit konventionellem wie nuklearem Sprengkopf bestückt werden. Bei einem Einsatzgewicht von rund zweieinhalb Tonnen fliegen sie 5.500 Kilometer weit.
Nicht selten nehmen auch die Hyperschallbomber Tu-22M3 an strategischen Manövern teil. Eigentlich haben diese Maschinen andere Aufgaben als die nukleare Abschreckung. Aber es ist geplant, diese Flugzeuge künftig mit den „Kinschal“-Raketen zu bewaffnen.

Mit zehnfacher Schallgeschwindigkeit überwinden diese Flugkörper jedes gegenwärtig bekannte Raketenabwehrsystem. Ob mit konventionellem oder nuklearem Sprengkopf – ihr Ziel erreicht die „Kinschal“ aus 2.000 Kilometern Entfernung.
https://de.sputniknews.com/technik/20180727321726847-neue-russische-atomwaffen-in-uebersicht/

Sacharows „Tsunami-Torpedo“: Greift Russland die Idee wieder auf?
Sergej Guneew
28.06.2018

Ein Hochleistungstorpedo mit einem atomaren Sprengkopf zur Vernichtung von Küstenstädten – das ist eine Idee, die der weltberühmte Physiker und Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow in den Sechzigerjahren vorgeschlagen hat. Hätte die russische Marine heute eine Verwendung dafür?

Die Tendenz, Waffenkonzepte von früher wieder aufzunehmen, zeichnet sich in Russland tatsächlich ab, äußerte der russische Mathematiker und Schiffsingenieur Schamil Alijew gegenüber der Onlinezeitung „Wsgljad“. „Sacharows Idee eines 24-Meter-Torpedos mit einem nuklearen Gefechtskopf und einer Reichweite von 50 Kilometern wird heute neubewertet“, so der Fachmann.

Andrej Sacharow hatte 1961 vorgeschlagen, einen Torpedo mit einem atomaren Gefechtskopf von mehreren Dutzend Megatonnen Sprengkraft zu entwickeln. Die mächtige Explosion dieser Waffe im Wasser sollte eine ungeheure Flutwelle erzeugen, die die Küsten- und Hafenstädte des Gegners unter sich begraben würde. Das Konzept sei damals nicht umgesetzt worden, weil es kein Geld dafür gegeben habe, sagt der Experte Alijew.

„Zum Ziel der Attacke aus mehreren hundert Kilometern Entfernung sollten die Häfen des Gegners werden“, erklärte Andrej Sacharow damals sein Konzept. „Die Zerstörung der Häfen – ob durch eine Überwasser-Explosion, nachdem der Torpedo mit einer 100-Megatonnen-Sprengladung aus dem Wasser ‚rausspringt‘, oder durch eine Unterwasser-Explosion – ist natürlich mit großen menschlichen Opfern verbunden.“

Einer der ersten Menschen, mit denen Sacharow seine Idee diskutierte, war der sowjetische Konteradmiral Wladimir Fomin. Dieser soll wegen der unvorstellbaren Zahl potentieller Opfer einer solchen Waffe entsetzt reagiert haben. Aber humanistische Überlegungen sind nicht das einzige Argument, das gegen Sacharows Torpedo spricht.

„Sacharows Projekt wird manchmal als das sowjetische Projekt eines künstlichen Tsunami bezeichnet. Aber das ist ein Irrtum. Um eine solche Welle auszulösen, muss sich der Sprengsatz in sehr großen Tiefen befinden – und nicht 50, sondern wenigstens 100 Kilometer von der Küste entfernt“, erklärt der Geograf Sergej Dobroljuow von der Moskauer Staatsuniversität. „Eine natürliche Tsunami-Welle entsteht ja durch tektonische Verschiebungen und nicht durch Explosionen im Wasser“, erinnert der Wissenschaftler. Übrigens haben auch die Amerikaner mit „Tsunami-Bomben“ experimentiert, aber ohne nennenswerten Erfolg: „Eine 20-Kilotonnen-Bombe hatte eine 300 Meter hohe Welle erzeugt, die nach drei Kilometern allerdings auf drei Meter Höhe abflachte.

Das Konzept von Andrej Sacharow war aber keine „Tsunami-Bombe“, sondern eben ein Torpedo, welches nahe der gegnerischen Küste abgesetzt und gezündet würde. Und das war auch die Schwachstelle in Sacharows Plan: „Sich der feindlichen Küste auf 50 Kilometer zu nähern, ist für ein U-Boot eine damals wie heute sehr problematische Aufgabe. Das lässt die Abwehr – die Sonaranlagen, die Seefernaufklärer, die U-Boot-Jäger – einfach nicht zu. Die Wahrscheinlichkeit eines solchen Durchbruchs ist sehr gering: Das U-Boot würde zerstört werden, noch bevor es in den Einsatzbereich seiner Waffen käme“, sagt der ehemalige U-Boot-Kommandant Igor Kudrin. Sacharows Konzept sei deshalb als unzweckmäßig verworfen worden – nicht aus Geldmangel, betont der ehemalige Kapitän.

Die neue russische U-Wasser-Drohne

Russische U-Wasser-Drohne „Poseidon“: Neue Details zur Bewaffnung
Auch der Militärexperte Alexej Leonkow von der Fachzeitschrift „Arsenal Otetschestwa“ hält die Idee eines solchen Torpedos für abwegig: Das Problem sei weniger die zu geringe Reichweite als der Durchmesser des Torpedos von eineinhalb Meter. Es müsste eigens ein neues U-Boot entwickelt werden, das dieses Geschoss aufnehmen könnte. Aber das Konzept an sich sei von der russischen Marine aufgegriffen worden – in einem Projekt, das Russlands Präsident Wladimir Putin im März dieses Jahres kurz vorstellte: die U-Wasser-Drohne „Poseidon“. „Im Vergleich zur Geschwindigkeit und der Sprengkraft des Poseidons sieht der Sacharow-Torpedo richtig alt aus“, so der Militärexperte Leonkow.
Der Militärexperte Wiktor Murachowski stimmt zu: „Sacharows Konzepte, die damals nicht umgesetzt wurden, sind sicherlich nicht vergessen. Ein Teil dieser technischen Lösungen ist in die neuesten russischen Entwicklungen eingegangen, auch in die U-Wasser-Drohne mit atomarem Antrieb. Die ‚Poseidon‘ ist aber natürlich eine wesentlich reifere Waffe als das Sacharow-Projekt.“ Der wesentliche Unterschied besteht laut Murachowski darin, dass die Reichweite der „Poseidon“ kraft ihres atomaren Antriebs unbegrenzt ist – die Drohne ist also eine strategische, der Sacharow-Torpedo hingegen eine taktische Waffe.
https://de.sputniknews.com/zeitungen/20180628321351935-atomsprengkopf-torpedo-russland/

Was wäre, wenn die USA wirklich russische Raketen attackieren?
05.10.2018
Swobodnaja Pressa

In den Zeiten des Kalten Kriegs hatten die damalige Sowjetunion und die USA permanent die Zahl ihrer Raketen aufgestockt. Mit der Unterzeichnung des INF-Vertrags in den späten 1980er-Jahren einigten sie sich auf ihren allmählichen Abbau. Russland erfüllte ihn natürlich, konnte aber viele Sprengköpfe erhalten und sogar modernisieren, indem es prinzipiell neue Waffensysteme entwickelte, die problemlos jedes mögliche Ziel auf dem US-Territorium treffen könnten.
Die Amerikaner lassen sich das logischerweise nicht gefallen und versuchen, Russland mit der Faust zu drohen, als wäre Russland ein Land wie Libyen, Syrien, Serbien oder der Irak.

„Es entsteht der Eindruck, dass das US-Establishment verrückt geworden ist“, sagte das Mitglied des Verteidigungs- und Sicherheitsausschusses im russischen Föderationsrat (Parlamentsoberhaus), Franz Klinzewitsch. „Vor einigen Tagen drohte der US-Innenminister Russland mit einer Seeblockade, und jetzt schloss die US-Botschafterin bei der Nato Schläge gegen russische Raketenkomplexe nicht aus. Aber meine Herren – das wäre doch Krieg! Verstehen Sie das etwa nicht?“

In Übersee versteht man natürlich das alles, und hoffentlich wird es zwischen Russland und den USA nie einen „heißen Krieg“ geben. Denn amerikanische Politiker sind keine Selbstmörder! Natürlich ist ihnen klar, dass Moskau jeden aggressiven Schritt Washingtons sofort beantworten würde. Solche Drohungen lassen sich eher als Versuche betrachten, Russland unter Druck zu setzen oder ihm sogar den Informationskrieg zu erklären. Eigentlich ist es völlig unverständlich, wie die Amerikaner angesichts all dieser Äußerungen mit Russland in verschiedenen „Konfliktherden“ kooperieren wollen – vor allem in Syrien.

Man muss klar und deutlich sagen: Niemand weiß, welche Folgen ein Atomkrieg zwischen Russland und den USA haben könnte. Und die Idee zu einem „lokalen Atomwaffeneinsatz“, von der manche Personen in Washington besessen sind, ist grundsätzlich sinnlos und utopisch. Denn wie gesagt: Jeder Schritt würde angemessene Gegenschritte provozieren.

Apropos Adäquanz der Gegenschritte: Falls sich die USA für einen „präventiven Atomschlag“ gegen Russland entscheiden sollten, wäre es ihrerseits naiv zu glauben, dass er ohne Antwort bleiben würde. Aber selbst wenn es ihnen gelingen würde, alle Kommandostellen der russischen Streitkräfte zu vernichten (auch wenn das völlig unmöglich wäre), würde sofort das System „Perimetr“ („Umfangslinie“) zum Einsatz kommen, das übrigens im Westen unter dem Namen „Dead Hand“ („Tote Hand“) und in Japan als „Hand aus dem Sarg“ bekannt ist.

Verstoß gegen INF-Vertrag? – Pentagon-Chef droht Moskau mit Konsequenzen
Ursprünglich war „Perimetr“ ein System zur selbstständigen Verwaltung der strategischen Raketentruppen. Es sah die Entwicklung von technischen Mitteln und Software vor, die es ermöglichen würden, selbst unter schlimmsten Bedingungen den Befehl zum Raketenschlag an das Personal in der Startzentrale weiterzuleiten. Und dieses System wäre in der Lage, Raketen selbst im Falle des Todes des gesamten Personals in der Startanlage abzufeuern.
Dabei war das „Perimetr“-System imstande, alle möglichen Daten zu sammeln und auszuwerten: über den Zustand der Kommunikationslinie mit der oberen Kommandostelle, die Strahlungssituation in der Umgebung, über registrierte Atomexplosionen usw. Das System war in der Lage, die Veränderung der militärischen und politischen Situation in der Welt zu analysieren – selbstständig die Signale innerhalb einer bestimmten Zeitspanne zu bearbeiten und „festzustellen“, dass in der Welt eventuell etwas falsch gelaufen sein könnte. Und irgendwann könnte es feststellen, dass der Zeitpunkt für einen Raketenschlag gekommen ist, und eben Raketen abfeuern.

Solche Handlungen waren jedoch in der Friedenszeit völlig ausgeschlossen: Selbst im Falle der Unterbrechung aller Kommunikationswege und wenn das ganze Personal die Startpositionen verlassen würde, gab es andere Parameter, die das System blockierten. Aber im Falle von Bedrohungssignalen, die einen massiven Angriff gegen Russland bedeuten würden, würde „Perimetr“ das ganze „Vergeltungspotenzial“ automatisch einsetzen.

Wir reden über dieses System in der Vergangenheit aus einem einzigen Grund – so war ihre Bestimmung früher. Wie es aber jetzt ist, weiß praktisch niemand: Diese Informationen sind streng vertraulich.
Bekannt ist lediglich, dass dieses Element der strategischen Raketentruppen Russlands für die Gegenseite die unvermeidliche Vergeltung bedeuten würde. Und dabei geht es nicht nur um seine Fähigkeit, selbst im völligen Chaos automatisch Gegenschläge zu versetzen.
Noch schlimmer (für die Gegner) ist, dass sein Gegenschlag wegen der technischen Möglichkeiten der strategischen Raketen nicht abzuwehren ist.

Das System „Perimetr“ ist aktuell die einzige funktionierende „Maschine des Jüngsten Gerichts“ (Waffe der garantierten Vergeltung) in der Welt, deren Bestehen offiziell bestätigt ist. In Übersee weiß man das ganz genau.

Was das Konzept dieses Systems angeht, so ist „Perimetr“ für die garantierte Startgewährleistung von silogestützten ballistischen Raketen in Fällen bestimmt, wenn alle Kommandostellen der strategischen Raketentruppen vernichtet sein sollten.

Die neuen Qualitäten und Fähigkeiten des „Perimetr“-Systems kennen nur wenige Personen aus der höchsten militärpolitischen Führung Russlands. Diesem Kreis gehören sicherlich Präsident Wladimir Putin, Verteidigungsminister Sergej Schoigu und der Befehlshaber der strategischen Raketentruppen, Sergej Karakajew, an. Allerdings müssen sie sich nicht persönlich daran beteiligen, dass dieses System eingesetzt wird – das passiert völlig automatisch.

Im Grunde ist das System „Perimetr“ ein alternatives Kommandosystem für alle Waffengattungen, die über Atomwaffen verfügen.

Natürlich findet man im Westen selbst die Tatsache, dass Russland (zuvor die Sowjetunion) ein solches System hat, „unmoralisch“. Aber dabei behalten sich die USA doch das Recht auf „präventive Atomschläge“ vor! Und dass Russland über seine Möglichkeiten auf diesem Gebiet verfügt, lassen sie sich nicht gefallen. Aber das ist auch gut so – das ist ein sehr wichtiger Eindämmungsfaktor, angesichts dessen Russlands Gegner quasi gezwungen sind, auf „Präventivschläge“ lieber zu verzichten.

Warum USA erstmals nach Kaltem Krieg Russland mit Raketenangriff drohen

„Der Eindämmungsfaktor ist eine überzeugende Kraft“, findet der Direktor des Zentrums für Strategien- und Technologienanalysen, Ruslan Puchow. „Das einstige Wettrüsten zwischen der Sowjetunion und den USA gab unserem Land das Recht auf Sicherheit durch ein großes Militärpotenzial, insbesondere im nuklearen Bereich.
Und jetzt wagt wohl niemand, mit Russland aus der Position der Stärke heraus zu sprechen, denn alle verstehen, dass unser Gegenschlag tödlich für jeden Gegner wäre. Und es ist gut, dass wir ein solches Potenzial haben. Aber auch das ist nicht das ganze Potenzial der russischen Armee, die in den letzten Jahren ein völlig neues Rüstungsniveau erreicht hat. Das gilt unter anderem für den IT-Bereich, was durch unsere Teilnahme am Syrien-Konflikt bestätigt wurde – selbst unsere Gegner mussten den Erfolg unserer Luft- und Weltraumtruppen anerkennen. Und das System ‚Perimetr‘ ist eine Art ‚Panzerzug‘, der zwar auf einem Abstellgleis steht, aber permanent einsatzbereit bleibt.“
Aus offenen Quellen ist bekannt, dass das modernisierte „Perimetr“-System 2011 in die Bewaffnung der russischen Streitkräfte aufgenommen wurde. Alle anderen Informationen bleiben strengstens vertraulich.
https://de.sputniknews.com/zeitungen/20181005322541811-folgen-drohungen-raketenangriff-inf/

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